Zwei Wochen eintauchen ins Genderprojekt
Hannes Herger, Sekundarlehrer im Kanton Luzern, hat für zwei Wochen im Rahmen seines Seitenwechsels im Projekt «Gendersensibilisierung in der Ausbildung von Natur- und Techniklehrpersonen» mitgearbeitet. Im Interview gibt Hannes Herger Auskunft über seine Erfahrungen und Arbeiten.
Wie kam es dazu, dass du Dich für die Mitarbeit im Projekt «Gendersensibilisierung in der Ausbildung von Natur- und Techniklehrpersonen» begeistert/entschieden hast?
Bei der Planung meines Seitenwechsels habe ich erfahren, dass von der Pädagogischen Hochschule Luzern das Angebot besteht, in ein Forschungsprojekt reinzuschauen. Dies hat mich auf zwei Ebenen angesprochen.
Einerseits hat es mich während meiner gesamten Lehrertätigkeit immer gereizt, Gelegenheiten zu nutzen, die mir erlaubten, die nähere Umgebung des eigentlichen Schulumfeldes zu erkunden. Ich habe diese Erfahrungen immer als ausserordentlich fruchtbar wahrgenommen.
Andererseits hat mich thematisch der Titel «Gendersensibilisierung» im Unterricht getriggert. Die Diskussionen dazu werden gerne emotional geführt und auch ich habe mich spontan gefragt: im Grunde geht es um Mädchenförderung; und das in einem Schulsystem, in welchem Mädchen statistisch gesehen erfolgreicher sind als Knaben. Ist das gerechtfertigt?
Mir ist bewusst, dass insbesondere der NT-Unterricht (und noch genauer: der Physik- und Chemieunterricht) von Männernamen geprägt ist. Frauen in der Forschung werden kaum erwähnt. Darüber gibt es keine zwei Meinungen.
Natürlich versuche ich bei der Planung meines Unterrichts, der Unterschiedlichkeit der Jugendlichen gerecht zu werden. Nur: gerade im Bereich der Gendersensibilität war der Ansatz bisher meist recht intuitiv geprägt.
Gibt es aus der Forschung konkrete Hinweise über wirksame Methoden? Wurde untersucht, welche genderspezifischen Unterschiede zielführend berücksichtigt werden können? Solchen Themen wollte ich in diesen zwei Wochen ein wenig auf die Schliche kommen.
An was hast Du in den zwei Wochen gearbeitet?
In einer ersten Phase habe ich mit intensiv mit Literatur beschäftigt. Von Matthias Hoesli, welcher mich in den zwei Wochen begleitet hat, habe ich eine Auswahl an Grundlagetexten aus der Forschung zu gendersensiblem Unterricht erhalten. Ausserdem habe ich Zwischenberichte und Hintergrundinfos zum Genderprojekt der PH Luzern gelesen.
Im Rahmen des Genderprojekts der PH Luzern hat das Projektteam ein Kriterienraster entwickelt, welches den Dozierenden der PH helfen sollte, ihren Blick auf gendergerechten Unterricht auf Ebene PH zu schärfen. Da ich mir zum Ziel gesetzt hatte, Werkzeuge zu finden, welche mich bei der Unterrichtsplanung in «Genderfragen» möglichst konkret unterstützen sollten, hat sich schnell herauskristallisiert, dass ich für meinen Unterricht ein ähnliches Werkzeug erstellen möchte.
Ich habe mich entschieden, die Struktur des Rasters zu übernehmen. Aus der gelesenen Literatur habe ich versucht, die wichtigsten unterrichtsrelevanten Aussagen zu extrahieren und daraus möglichst konkret formulierte Kriterien für mein Raster zu erstellen. Im nächsten Schritt habe ich die bestehenden Kriterien des Genderprojekts der PH Luzern mit meinen eigenen Kriterien vermengt, aussortiert und ergänzt. Ich glaube, es ist mir gelungen, eine Liste von Kriterien zusammenzustellen, welche mir helfen können, einige wichtige Aspekte nicht ganz aus den Augen zu verlieren. Und wichtig ist für mich, dass sich aus einer diffusen Wolke von Ideen und Vorstellungen zum Thema Gendersensibilität im Unterricht ein paar konkrete Massnahmen herauskristallisiert haben.
Was nimmst du für dich als Lehrperson der Sekundarstufe an Erfahrung aus dem Seitenwechsel mit in die Schule? Hat sich deine Meinung zur Genderthematik verändert? Was nimmst du mit für den zukünftigen Unterricht?
Als wesentliche Erkenntnis nehme ich mit, dass Gendersensibilisierung nicht bedeutet, dass eine Gruppe von Jugendlichen auf Kosten einer anderen Gruppe, das Mädchen auf Kosten der Knaben gefördert werden. Die Massnahmen, welche sich für mich aus den Kriterien ergeben, sind Massenahmen, welche man auch unter dem übergeordneten Aspekt des guten Unterrichts einordnen kann. Ich bin gespannt, in welcher Form dieses Projekt auch auf der Volksschulstufe gewinnbringend Auswirkungen zeigen kann.
Kritisch nehme ich aus dem Literatur-«Studium» mit, dass trotz meines sehr positiven Fazits der Eindruck bleibt, dass in einigen Arbeiten, die ich gelesen habe, eine gesellschaftlich geprägte, hin und wieder verzerrende Perspektive eingenommen worden ist. Ich habe den Eindruck erhalten, dass die (berechtigte) Unzufriedenheit mit der ungerechten Ausgangslage stark auf die Interpretationen der typisch männlichen und typisch weiblichen Verhaltensweisen bei den Jugendlichen abgefärbt haben, welche ihnen nicht immer gerecht werden.
Wie hast du die Arbeit an der PH Luzern im Projektteam des Projekts «Gendersensibilisierung in der Ausbildung von Natur- und Techniklehrpersonen» erlebt?
Trotz des sehr knappen Zeitrahmens habe ich einige neue Erkenntnisse gewonnen, welche mich bestimmt weiter beschäftigen werden. Ich habe den Wechsel zwischen den Gesprächen mit Matthias und den Phasen des selbständigen Arbeitens als ausgewogen empfunden. Gegen Ende dieser zwei Wochen kam bei mir das Bedürfnis auf, weitere, unterrichtsrelevante Fragen auch mit Kolleginnen und Kollegen der Sekundarstufe zu besprechen. Ich habe gemerkt, dass ich nun ohne diesen Austausch anfangen würde, im «eigenen Saft zu schmoren». Der gegenseitige Austausch im Kollegium wäre nun eine ideale Arbeitsweise.
Welche Erfahrungen mit dem Thema Gender im Bereich Natur und Technik bzw. NMG hast du vor dem Seitenwechsel bereits gemacht?
Für mich ist es immer schon ein Bedürfnis gewesen, mich von stereotypen Rollenbildern zu verabschieden. Ich habe zudem beim Lesen der Grundlagentexte den Eindruck erhalten, dass in meinem schulischen Umfeld viele diese Erkenntnisse schon angekommen sind und in den Unterricht einfliessen.
Ausserdem haben wir seit drei Jahren endlich ein Lehrmittel für NT, mit welchem an unserer Stufe unterrichten können. Und erfreut stelle ich fest, dass wesentliche Erkenntnisse aus der Forschung zur Gendersensibilität in diesem Lehrmittel sehr gut umgesetzt worden sind.
Trotzdem erlebe ich, dass es Phasen gibt, in welchen ich die Mädchen tendenziell schlechter erreiche, in welchen sie sich einfach nicht gleichermassen für den Inhalt interessieren wie die Knaben. Ich bin gespannt, ob und wie wir dieser Problematik in Zukunft begegnen können. Ich freue mich!